Bernd Schorlemmer feiert ein seltenes Jubiläum. Er steht seit 1972 im Café Poggel in der Backstube.
1. August 1972 – das Datum kommt wie aus der Pistole geschossen: Dafür muss Bernd Schorlemmer (64) nicht lange überlegen. Jener Tag vor 50 Jahren hat sein weiteres Leben – und nicht nur seines – für immer geprägt. Mit gerade einmal 14 Jahren begann er nach den Sommerferien eine Lehre zum Konditor im Café Poggel. Jetzt konnte er das in zweierlei Hinsicht höchst seltene Arbeitsjubiläum feiern: 50 Berufsjahre und diese in einem Unternehmen.
„Damals haben das die Eltern für ihre Kinder entschieden“, sagt Schorlemmer. Er habe zuvor ein Praktikum in einer Autowerkstatt gemacht, aber das sei nichts für ihn gewesen mit dem vielen Öl und Schmiere, sagt er. Über den persönlichen Kontakt sei er dann in die Backstube der Hemeraner Traditionskonditorei mit dem Gründungsjahr 1888 gekommen – und geblieben.
Als Opa jetzt mehr Zeit für die Enkel nutzen
Warum? Fragend blickt Schorlemmer zu seinem Chef Georg Poggel, die beiden sehen sich an und er sagt: „Es passt einfach zwischen uns. Wenn wir streiten, dann vertragen wir uns danach auch wieder und wenn jemand etwas auf der Seele hat, dann spricht er es aus“. Wie bei einem „alten Ehepaar“ also? Na ja fast, meint der 64-Jährige. Chef und Meister verbindet seit 1998, als Georg das Café von seinem Vater übernahm, mehr als ein Anstellungsverhältnis: „Er war schon als kleiner Junge immer bei mir, wenn seine Eltern gearbeitet haben“, sagt Schorlemmer.
Er selbst hat zwei erwachsene Kinder: Einer ist Diplom-Informatiker, der andere Justizfachangestellter – in die Backstube hat es keines gezogen. Um seine zwei Enkel, sieben und 13 Jahre, kümmert er sich gerne und häufig, nächste Woche geht es mit einem Enkel in den Urlaub. Die Zeit dafür sei mehr geworden, seit er nicht mehr jeden Tag arbeite, die Wochenenden hat der 64-Jährige inzwischen frei. Sonst geht es jeden Morgen um sieben Uhr los. „Eine humane Zeit“, findet er. Schon deshalb sei das Bäckerhandwerk für ihn nicht in Frage gekommen.
Mit Fußball und Tennis fit für den Job gehalten
Der Job gehe schon genug auf die Knochen, das viele Stehen, aber er versuche sich fit zu halten: Schorlemmer spielt Fußball und Tennis. Die vielen Kuchen, Torten, Pralinen, das Gebäck und Eis fertigen die beiden Handwerks-Meister nicht allein: Ein Azubi und ein Geselle arbeiten mit. Jedes Jahr kommen drei bis vier Praktikanten. Bislang sei es nicht schwer, Mitarbeiter zu finden.
„Die jungen Leute heute sind selbstständiger, als wir es früher waren. Die haben einen eigenen Willen und lassen sich keine Ungerechtigkeiten gefallen.“ Das Geschäft habe sich in den fünf Jahrzehnten gewandelt: „Heute kann man Kuchen bei jedem Discounter kaufen. Wir müssen deshalb individuellere Sachen bieten und noch mehr auf handwerkliches Können und Qualität setzen“, sagt Georg Poggel. Die Eier kommen aus Sümmern, das Obst frisch vom Markt.
Nach der Pandemie Angst vor den hohen Energiekosten
Die Zeiten würden immer härter: In der Pandemie war das Café monatelang geschlossen, jetzt lässt die Inflation die Kunden den Euro dreimal umdrehen. Zumal auch die Rohstoffe für die Backwaren immer teurer werden und das merke man dann eben auch beim Preis. „Wir verkaufen Luxus. Dinge, die der Kunde eigentlich nicht braucht“, sagt Poggel. Zumal die Stammkunden immer älter würden. Und jetzt auch noch die Energiekrise: „Ich habe noch keine neuen Abschläge von meinem Energieversorger bekommen“, sagt der Firmenchef. Er rechne aber mit nichts Gutem. Eine Wahl hat der Konditor nicht: „Der Backofen muss laufen. Wenn er nicht läuft, können wir nichts verkaufen.“
Und weil das so ist, geht es jetzt auch erst mal ans Schaffen: In der großen Teigmischmaschine drehen sich die Streusel für den Streuselkuchen, auch Stollen, Domino-Steine, Plätzchen und Printen für die nahende Weihnachtszeit wollen produziert werden – zum Teil nach alten Familienrezepten. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt da nicht – und vielleicht sei das auch gut so, meint Betriebsjubilar Schorlemmer.
Nach einem halben Jahrhundert wie lange noch? „Das kommt darauf an, wie sie mich hier ärgern“, sagt er und lacht. Und dann: „Solange es Spaß macht und der Körper mitspielt.“
Quelle: IKZ Miriam Mandt-Böckelmann