Hemeraner Bauunternehmer Georg Verfuß: „Wir werden wieder eine gewisse Verlässlichkeit haben, auch bei Preisen“. Die lange boomende Baubranche verzeichnet erstmals seit Jahren real rückläufige Umsätze und befürchtet zunehmend Stornierungen privater Bauprojekte, aber auch dringend notwendiger Infrastrukturmaßnahmen. „Für die ersten acht Monate sind wir bei einem realen Rückgang von 4,3 Prozent. Wir erwarten für das Gesamtjahr 2022 einen Umsatzrückgang von fünf Prozent“, erklärt Peter Hübner, Präsident des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie. Hübner, Mitglied des Vorstands der Strabag Deutschland, blickt dabei auf die Branche in der gesamten Republik.
Die Vorzeichen mit hoher Inflation, deutlich gestiegenen Baukreditzinsen, hohen Preisen für knapp werdendes Material und Energie sind im Prinzip für alle gleich und führen zu nachlassenden Auftragseingängen in der zuletzt deutlich überbuchten Branche.
Stornierungen auf hohem Niveau
Mit sinkenden Preisen sollten Bauherren trotz der Entwicklung nicht rechnen, sagt Bauunternehmer Georg Verfuß aus Hemer: Die Situation am Markt werde sich etwas beruhigen, „wahrscheinlich ausgenommen ist die Heizungsbranche“. Letzteres aufgrund starker Nachfrage nach effizienten und kostengünstigeren Heizmöglichkeiten als mit fossilen Brennstoffen wie Gas und Öl. Wärmepumpen bleiben weiter gefragt.
Auch wenn die Rahmenbedingungen für Verunsicherung bei den Bauherren sorgen und manches Projekt vielleicht verschoben wird, sackt die Branche keineswegs von 100 auf null durch. Noch sind viele Auftragsbücher ganz ordentlich gefüllt. Selbst wenn die Aufträge nun um zehn oder zwanzig Prozent rückläufig sind, bleiben die Firmen nach wie vor ganz gut beschäftigt, voraussichtlich auch im kommenden Jahr. „Wir kommen von einem ganz hohen Niveau. Wir selbst sind für das kommende Jahr bereits gut grundausgelastet. Erst für 2024 rechne ich damit, dass es schwieriger für uns wird“, sagt Georg Verfuß, dessen Unternehmen als Generalunternehmer Bauprojekte umsetzt. Wer also die leise Hoffnung hatte, dass 2023 Bauprojekte leichter und womöglich billiger umgesetzt werden könnten, weil sich die Firmen nicht länger die Kunden aussuchen können, dürfte sich täuschen. Es gebe, so Verfuß, für Verbraucher dennoch Gutes zu melden: „Wahrscheinlich werden wir wieder eine gewisse Verlässlichkeit haben, auch bei den Preisen.“ Immerhin ließe sich voraussichtlich bald wieder seriös kalkulieren, wie teuer der Traum von den eigenen vier Wänden wird. Momentan sei die Preiskalkulation so schwierig wie noch nie, sagt Georg Verfuß, der mit seinem Unternehmen gerade 150-Jähriges feierte. Verfuß habe bislang tatsächlich noch keine Stornierungen von Projekten erlebt, das scheint aber eher eine Ausnahme zu sein.
Die schwierigen Rahmenbedingungen und damit verbunden ein unsicheres Marktumfeld sorgen offenbar bei vielen Investoren, ob private oder öffentliche, für Zurückhaltung. „Schon heute führt dies zu einem Rückgang beim Auftragseingang sowie zu Stornierungen auf einem ungewöhnlich hohen Niveau“, sagt Branchenpräsident Peter Hübner.
Das Bauhandwerk scheint in ähnlicher Weise betroffen zu sein: „Die stark gestiegenen Materialpreise, hohe Energiekosten, fehlende Fachkräfte und Störungen in den Lieferketten sind auch für das Bauhandwerk erhebliche Belastungen. Hinzu kommen die stark gestiegenen Zinsen, die die Finanzierung von Bauprojekten erheblich verteuern und zu einer Zurückhaltung bei Investoren im Wohnungsbau führen. Das Bauhandwerk erwartet daher einen Rückgang der Umsätze. Getrübt werden die Aussichten auch durch die stark reduzierte staatliche Förderung im Bereich der Gebäudesanierungen“, sagt Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer Dortmund. Langfristig blieben die Geschäftsaussichten jedoch durchaus positiv. Millionen von Wohnungen und Gebäuden müssten schließlich energetisch saniert werden, soll es denn mit der Klimawende irgendwie klappen. Und der Bedarf nach neuem Wohnraum sei weiterhin groß. „Hinzu kommt ein großer Investitionsbedarf bei Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen, Brücken und Ladepunkte für die e-Mobilität“, erläutert Schröder.
Quelle: IKZ Jens Helmecke