Zum „Automobil-Gipfel“ hatte die Gesellschaft zur Wirtschafts- und Strukturförderung im Märkischen Kreis (GWS) anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens in die Iserlohner SASE geladen und für die Vorträge fachkundige Redner gewonnen.
„Mit über 500 Unternehmen und rund 50.000 Mitarbeitern in Südwestfalen ist NRW am stärksten von der Automobilzulieferindustrie geprägt“, sagte Landrat Marco Voge. Seine These: „Kein einziges Auto in Europa würde fahren, wenn es Südwestfalen und das Sauerland nicht gäbe.“ Eine Entwicklung, die früher niemand so erwartet habe, und er gehe davon aus, dass es so auch in Zukunft weitergehe. Aber: Wandel muss her, denn: „Die Digitalisierung der Fertigung, Elektromobilität und neue Antriebe, autonomes und vernetztes Fahren revolutionieren diesen Wirtschaftszweig.“
Das Problem ist längst bekannt: „Der Wandel stellt insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen der Region sowie ihre Beschäftigten vor erhebliche Herausforderungen“, so der Landrat. Hinzu kämen das Fehlen von neuen Gewerbeflächen, der Fachkräftemangel sowie die schlechte Erreichbarkeit durch den Ausfall der A-45-Brücke.
Auch Christian Will, Kreishandwerksmeister und Vorsitzender der Kfz-Innung Iserlohn, verwies für die Kreishandwerkerschaft im Märkischen Kreis darauf, dass am Wandel kein Weg vorbeiführe: „Die Dinosaurier sind heute ausgestorben, sie konnten sich nicht ändern – und diesen Fehler wollen wir nicht machen.“
Handel und Handwerk befänden sich in einem noch nie dagewesenen Transformationsprozess: „Heute braucht man im Kfz-Gewerbe eher einen IT-Fachmann als einen Schrauber“, und dieser Wandel werde sich auf dem Weg vom „Verbrenner zum Stromer“ noch verstärken. Christian Wills Appell an den Landrat: „Die Bundesförderung der Plug-in-Hybridautos läuft zum Ende des Jahres aus. Deshalb wird der Ansturm bei den Kfz-Zulassungsstellen noch größer sein als gewöhnlich. Bitte sorgen Sie unbedingt dafür, dass die Behörden an möglichst vielen Tagen zwischen Weihnachten und Silvester geöffnet haben – Händler und Kunden werden es Ihnen danken.“
Hanno Kempermann, Geschäftsführer der IW Consulting in Köln, machte sich daran, die zuvor gehörten Aussagen mit Zahlen zu unterfüttern – und betätigte sich dabei als „Berufs-Hiob“ -- wie Moderator Matthias Bongard, selbst gebürtiger Iserlohner, augenzwinkernd meinte. Mit seinen Fakten machte der Experte die Größe der Herausforderung erst richtig deutlich – und manchem Zuhörer dürfte es dabei heiß und kalt den Rücken heruntergelaufen sein. „Der Automobilwandel ist nicht nur mit Chancen verbunden, sondern auch mit vielen Herausforderungen“, stellte Kempermann klar. „3,3 Millionen Erwerbstätige hat die Automobilindustrie in Deutschland, davon 75.000 in Südwestfalen.“ Die Folge: In Südwestfalen wird jeder achte Euro im Bereich Automotive erwirtschaftet.
7700 Menschen arbeiten an und um Verbrennungsmotoren
50 Prozent sind produktionsnah beschäftigt, die andere Hälfte im Handel sowie in Kfz-Werkstätten. Bei ersteren seien rund 7700 Menschen „im traditionellen Verbrenner“ tätig, also in Unternehmen, die Teile oder Komponenten des Antriebsstranges herstellten und sich in den nächsten Jahren sehr stark mit neuen Geschäftsmodellen auseinandersetzen müssten. Kempermanns traurige Prognose: „In NRW könnten durch den Wandel im Antrieb bis zu 26 Prozent der Arbeitsplätze bis 2040 verloren gehen.“
Immerhin: Freuen können sich in Südwestfalen jene 3000 Beschäftigte, die bereits heute in den Bereichen Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung beschäftigt sind. Auch die Fachkräftelücke von mehr als 700.000 Beschäftigten in Deutschland im Jahr 2030 gebe kaum Grund zur Freude, ebenso wie der Mangel an Industrieflächen.
Ein Beispiel dafür, dass die Transformation gelingen kann – weil man die ersten Schritte bereits 2009 eingeleitet habe – stellte J. Wolfgang Kirchhoff, Geschäftsführender Gesellschafter und CEO Kirchhoff Automotive Holding vor. Er gab zu, vor dreieinhalb Jahren selbst noch nicht geglaubt zu haben, dass die Elektrifizierung so schnell voranschreiten würde. Er habe damals damit gerechnet, dass 2030 noch 75 bis 80 Prozent einen Verbrennungsmotor haben. Aber: „Das habe ich widerrufen, weil ich sehe, was unserer eigener Auftragseingang an Geschwindigkeit aufgenommen hat.“ Das zeige auch die Zahl der Neuzulassungen: „Davon sind in China 23 Prozent Elektrofahrzeuge, in den USA sind es sechs Prozent und in Europa 24 Prozent, Treiber ist dabei Deutschland mit 27 Prozent“, so Kirchhoff. Nach der gestiegenen Nachfrage hätten sich auch die Hersteller gerichtet: Mercedes wolle 50 Prozent Elektrofahrzeuge bis 2025 produzieren, bei BMW seien es 50 Prozent bis 2030. Die Folgen für das Iserlohner Unternehmen: „40 Prozent unserer Neuaufträge im Jahr 2022 in Europa und China sind für Elektrofahrzeuge, im letzten Jahr war es noch gut die Hälfte“, so der Kirchhoff-Gesellschafter. Das zeige, wie die Sache Geschwindigkeit aufnehme. „Der Zug fährt mit hoher Geschwindigkeit und ist nicht mehr aufzuhalten.“ Im eigenen Unternehmen werde man in 2022 rund acht Prozent der Umsätze mit Elektrofahrzeugen erwirtschaften, 2027 würden es ein Drittel sein, so Kirchhoff. Trotzdem werde es auch Rückschläge geben, so seine Prognose. Gründe seien eben Corona, die Infrastruktur, der Ukraine-Krieg und die Versorgung mit Rohstoffen.
Erfolg ist keine Frage der Größe – es braucht Ideen
Kirchhoff schilderte die Herausforderungen, die die Elektrifizierung auf die Strukturteile der Fahrzeuge habe – viele seien völlig neu entwickelt worden. Er machte den kleinen und mittleren Unternehmen der Region Mut: „Es ist keine Frage der Größe. Man kann auch als kleine Firma erfolgreich sein, wenn man das richtige Konzept und eine Nische für sich findet. Aber die fallen einem nicht im Traum ein, leider nicht.“ Natürlich sei der Weg nicht einfach – aber es gebe keine Alternative – „wir haben keine Zeit mehr . . .“.
Autos mit Verbrennermotor werden älter werden
In dieses Mantra stimmte auch Frank Mund, Präsident des Kfz-Landesverbandes NRW, ein: „Der Verbrenner ist tot“, sagte er. Die teureren Elektrofahrzeuge würden zu einer Spaltung der Gesellschaft führen und „der Bestand wird deutlich älter werden. Derzeit sind die Autos in Deutschland im Schnitt zehn Jahre alt, durch die Elektrifizierung dürfte es deutlich mehr werden“.
In der abschließenden Talkrunde verwies Prof. Dr. Andreas Nevoigt, Leiter Labor für Fahrwerktechnik und Prorektor Forschung und Technologietransfer der Fachhochschule Südwestfalen darauf, dass es gelingen müsse, Schülerinnen und Schüler frühzeitig an die Unternehmen der Region zu binden, damit diese auch nach dem absolvierten Studium in Südwestfalen bleiben und nicht in die großen Städte abwanderten. Denn: „Es ist schwieriger, jemanden, der in Aachen, Karlsruhe, Berlin studiert hat, wieder zurück zu holen.“
Jochen Schröder von der GWS meinte, man tue alles, um Entwicklungen des Transformationsprozesses zu antizipieren und den Strukturwandel aktiv zu gestalten. In diesem Zusammenhang verwies er auf das ATLAS-Projekt, die Automotive Transformationsplattform Südwestfalen. „Es ist wichtig, sich in Netzwerken zu engagieren und die Kräfte für die Zukunft zu bündeln, um in schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen den Wandel zu gestalten“, so Schröder.
Ebenso wie die Hersteller und Zulieferer, müsse sich der Kfz-Handel auf neue Vertriebswege einstellen, darin war sich das Podium einig. Autos würden in Zukunft im Internet konfiguriert und bestellt, lediglich die Abholung erfolge dann beim Händler. Zum Thema Energiekrise bezog Kirchhoff Stellung: „Es war ein Riesenfehler, aus der Kernkraft auszusteigen“, sagte er. „Wenn wir schon keine Kohle haben wollen, brauchen wir eine sichere und grundlastfähige Energieversorgung – und dann wird man darüber wieder sprechen müssen.“ Man müsse weg von Ideologien und stattdessen der Fachwelt zuhören.
Quelle: IKZ Miriam Mandt-Böckelmann